Rokoko
Rokoko
Dior, Gaultier, Chanel, Givenchy, Armani, etc.
Die berühmtesten Modehäuser der Welt – die „Creme de la creme“ der Haute Couture – stellen jedes Jahr auf den Laufstegen in London, Paris, Mailand, New York und Tokio ihre ausgefallenen, maßgeschneiderten Kollektionen zur Schau. Mode hat aber sicher schon seit jeher eine bedeutende Rolle gespielt, vor allem für das schöne Geschlecht. Wahrscheinlich haben sich die Bräute bereits in der Urzeit um die besten Säbelzahntigerfelle gestritten.
Zur Zeit Ludwigs XV waren es die pompösen Bälle am Hofe des Königs, auf dem man/frau sich perfekt präsentieren wollte. Nun steht der größte Ball der Epoche unmittelbar bevor, und so obliegt es den Hofschneidern, die edelsten Kleidungsstücke, die elegantesten Herrenröcke und die atemberaubendsten Ballkleider herzustellen.
In „Rokoko“ übernehmen wir ein Schneider-Atelier mit einem anfangs eher bescheidenen Personalstand: 2 Meister, 1 Geselle und 2 Lehrlinge. Diese Personen kommen auf Basis-Arbeiterkarten vor, von denen jeder Spieler einen identischen Satz erhält.
Der Spielplan zeigt die Einsatzgebiete, in die wir unsere Arbeiter entsenden können. Dabei können aber nur die Meister alle sechs verschiedenen Aktionen durchführen, während Gesellen und vor allem Lehrlinge aufgrund ihrer minderen Befähigungen in ihrem Einsatz beschränkt sind. Hier die einzelnen Hauptaktionen:
Rohstoffe können von allen erworben werden. Im Lagerhaus liegen Rohstoffplättchen in 3 Reihen aus. Rohstoffe in vollen Reihen sind teurer, dafür ist halt die Auswahl größer. Je weniger Rohstoffplättchen sich noch in einer Reihe befinden, umso preiswerter werden sie. Restposten sind sozusagen billiger zu haben. Wer ein Rohstoffplättchen erwirbt, zahlt den entsprechenden Betrag und entscheidet sich dann, ob er es abgibt, um darauf abgebildete Garne oder Spitzen zu erhalten, oder ob er es behält, um aus dem Stoff später Kleider zu schneidern.
Kleider werden in der Schneiderei hergestellt. Allerdings sind nur ein Meister oder ein Geselle handwerklich dazu in der Lage. Die Fenster der Schneiderei geben vor, wie viele Livres für die Erteilung des Auftrags aufgewendet werden müssen. Außerdem müssen die auf der Entwurfseite des Kleiderplättchens vermerkten Stoffballen, Garne und Spitzen abgegeben werden. Anschließend steht man vor der Entscheidung, das fertige Kleid zu verkaufen, was den entsprechenden Geldbetrag in Livre einbringt, oder das Kleid an einen Gast des Balls zu verleihen. In letzterem Fall dreht man das Kleid auf die Verleihseite und platziert es auf ein freies Gastfeld in einem der Säle des Schlosses.
Beim Ball geht es jedoch nicht nur um die Kleider. Wir müssen auch das Rundherum organisieren. Indem wir die Ausstattung finanzieren, können wir uns profilieren. Während wir mit der Finanzierung der Brunnen im Erdgeschoss nur unser Einkommen ein wenig steigern können (die Gäste werfen anscheinend ein paar Münzen in den Brunnen), ermöglichen die anderen Investitionen, wie Musiker in den Sälen, Statuen vor dem Eingang und das farbenfrohe Feuerwerk am Ende der Veranstaltung, unser Ansehen am Hofe zu erhöhen.
Die umfangreiche und vielschichtige Arbeit verlangt förmlich nach einer Erweiterung des Personalstands. Allerdings ist lediglich ein Meister kompetent genug, Arbeiter einzustellen. Das Angebot am Personalmarkt ist limitiert, und wie bei den Stoffen kostet es mehr, je früher man sich für einen neuen Arbeiter entscheidet.
Jeder Arbeiter kann aber auch stattdessen für immer an den Hof des Königs entsandt werden. Dies spült nicht nur ein paar wichtige Livres in die stets knappe Kassa, es ermöglicht in Folge auch einen effektiveren Einsatz des verbliebenen Personals.
Und schließlich kann man die Gunst der Königin erbitten. Allerdings kann dies nur von jenem Meister oder jenem Gesellen erledigt werden, der die Königin zuerst aufsucht. Dies bringt nicht nur willkommene 5 Livre, sondern auch den Vorteil, in der nächsten Runde als erster Spieler aktiv werden zu dürfen.
Bevor wir jedoch unsere Arbeiter den verschiedenen Aufgaben zuteilen, müssen wir uns zu Beginn jeder Runde geheim entscheiden, welche 3 Arbeiter aus unserem Arbeitervorrat wir diesmal einsetzen wollen. Eingesetzte Arbeiterkarten kommen übrigens auf einen Ablagestapel und können erst wieder gewählt werden, wenn sich im Arbeitervorrat weniger als 3 Arbeiter befinden.
Nach sieben Runden, vor denen stets die Auslage an neuen Arbeiterkarten, Rohstoffen und Kleidern ergänzt wird, ist endlich die Nacht des großen Balls gekommen. In einer Endwertung gibt es noch allerlei Punkte zu holen, etwa für Kleidermehrheiten in jedem der 5 Säle, Ausstattungsmehrheiten beim Feuerwerk, und vor allem natürlich für die prunkvollen Kleider und Herrenröcke, welche die Ballgäste stolz präsentieren. Wer schlussendlich die meisten Ansehenspunkte sammeln konnte, sichert sich den Eintrag in die Geschichtsbücher am Hofe des Königs und gewinnt.
Schneidern – dieses Thema taucht in meiner Spielesammlung noch überhaupt nicht auf. Das Thema erweist sich also als erfrischend neu und originell. Es wurde aber auch grafisch exzellent umgesetzt, wofür wieder einmal Michael Menzel verantwortlich zeichnet. Er hat die Opulenz und den Prunk des Rokoko gekonnt und mit viel Liebe zum Detail wiedergegeben. Das Spielmaterial ist ebenfalls reichhaltig und qualitativ hochwertig.
Das Spiel selbst präsentiert sich prinzipiell als ein Worker Placement Spiel. Es werden jedoch keine Spielfiguren eingesetzt, sondern nur Aktionen durch das Ausspielen von Arbeiterkarten durchgeführt. Für den besonderen Kniff sorgen die unterschiedlichen Befähigungen der Meister, Gesellen und Lehrlinge, die sorgfältige Planung und Abwägung erfordern. In der Praxis wird man seine Lehrlinge vor allem zur Beschaffung von Stoffen und zur Finanzierung von Ausstattung entsenden. Seine Gesellen wiederum setzt man hauptsächlich zum Schneidern der Kleider ein, um seine Meister für die wichtige Einstellung neuer Arbeiter aufzusparen. Einige ganz besonders prächtige (und punkteträchtige) Roben – markiert mit einem goldenen Fingerhut – können zudem bloß von einem Meister gefertigt werden, weiters geben sich einige Ballgäste auch nur mit einem Kleid aus Meisterhand zufrieden.
Das Einstellen neuer Arbeiter ist – wie bereits erwähnt – eine der wichtigsten Aktionen. Das hat mehrere Gründe. Erstens können neue Arbeiter noch in derselben Runde eingesetzt werden und sorgen somit für eine zusätzliche Aktion in dieser Spielrunde. Zweitens besitzen sie bessere Fähigkeiten. Auf dem Großteil der Arbeiterkarten ist nämlich ein Arbeiterbonus angegeben. Dies ist eine Zusatzaktion, welche man nach der Ausführung der gewählten Hauptaktion machen kann.
Neue Arbeiterkarten kommen übrigens nicht ganz zufällig ins Spiel. Sie sind grob in sechs Gruppen eingeteilt, mit immer besser werdenden Arbeiterboni. In der letzten Gruppe befinden sich zudem Karten, die für bestimmte Bedingungen zusätzliche Ansehenspunkte bei der Endwertung bringen.
Diese allmähliche Steigerung der Fähigkeiten, sowie die Art und Weise, wie die Karten eingesetzt werden und über den Umweg des Ablagestapels wieder in den zur Verfügung stehenden Arbeitervorrat wandern, erinnern etwas an ein Deckbauspiel. Auch bei „Rokoko“ gilt es, sein Kartendeck im Laufe des Spiels effektiver zu gestalten, wozu auch das Entfernen „schlechterer“ Arbeiterkarten – hier als „Entsenden an den Königshof“ getarnt – gehört.
„Rokoko“ ist kein einfaches Spiel. Es besitzt zahlreiche miteinander verzahnte Mechanismen, viele Regeldetails, die es zu beachten gilt. Vor allem die Endwertung umfasst gleich mehrere Punkte, die Schritt für Schritt abgehandelt werden müssen. Dies erfordert daher auch bereits für Neulinge eine umfangreiche Einschulung und intensive Regelerklärung, damit diese von Anfang an wissen, worauf sie während des Spiels aufzupassen haben. „Rokoko“ ist deswegen keinesfalls für Gelegenheitsspieler geeignet, welche mit der Regelfülle hoffnungslos überfordert wären. Es ist rein für erfahrene Spieler gedacht, was auch mit der Nominierung zum „Kennerspiel des Jahres 2014“ unterstrichen wird.
Für mich stellt sich die Frage, ob nicht ein wenig zu viel in das Spiel gepackt wurde. Grundsätzlich gefällt mir die Verbindung von kartengesteuertem Arbeitereinsatz mit Deckbau-Elementen sehr gut, und auch die Nebenaktionen bereichern das Spiel meiner Meinung nach in einem sehr reizvollen Maße. Ich finde aber, dass man durchaus auf ein paar der Nebenmechanismen verzichten hätte können. Ich betrachte zum Beispiel die Sache mit Garn und Spitze als unnötige Verkomplizierung, die man ohne weiteres hätte weglassen können.
Alles in allem ist dem Autorentrio – Matthias Cramer („Helvetia“), sowie Vater Stefan mit Sohn Louis Malz („Edo“) aber ein beachtenswertes, anspruchsvolles Werk gelungen. Lediglich die längere Spieldauer – ab 3 Personen muss man mit ungefähr zwei Stunden (oder mehr) rechnen – verhindert, dass „Rokoko“ allzu oft auf unserem Spieltisch landen wird…
Franky Bayer
Bewertung: 4 1/2 Schilde
Zielgruppe: Spielexperten ++
Info-Box:
Titel: Rokoko
Spieleautoren: Matthias Cramer, Louis & Stefan Malz
Verlag: Eggert Spiele
Vertrieb: Pegasus Spiele
Jahrgang: 2013
Spielerzahl: 2 bis 5 Spieler
Alter: ab 12 Jahren
Dauer: 60 bis 120 MinuteAuszeichnung: nominiert zum „Kennerspiel
des Jahres 2014“